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DIE GRENZE DES THEATERS UND DER BLICK IN DEN ZWISCHENRAUM - GRENZE / LIMITES



Writer
2020
Exhibition & Publication by Mirjana Mitrovic, Mexico City & Berlin

︎︎︎Mirjana Mitrovic





Die Grenzen des Theaters und der Blick in den Zwischenraum

Traditionelles Theater folgt einer Rezeptur von Bühne, Darstellenden und Publikum. Erwartungen, Benehmen und Ablauf sind im Konzept selbst und der Psychologie des Raumes mit inbegriffen und bedürfen einer speziellen Ansage nur, wenn sich Gesellschaftsnormen ändern.

So wurde »bitte nicht rauchen« von »bitte nicht telefonieren« abgelöst. Davon mal abgesehen, tendieren Theaterbesucher*innen in eine stille Konspiration der Theateretikette zu verfallen. Ähnlich wie die Kirche oder das Museum bietet das Theater eine Lesart der

Zugehörigkeit, in der die Verteilung der Rollen klar definiert ist – Grenzen mit Komfort. Passend zum Titel der Aktion »Erster Europäischer Mauerfall« war der Ausgangspunkt der Reise am 7. November 2014 das 1952 umbenannte Maxim Gorki Theater in Berlin, unter der Intendanz von Shermin Langhoff. Sie hatte sich schon vorher viel mit Migration, vor allem der türkisch-deutschen Geschichte auseinandergesetzt und hatte
deshalb auch ein persönliches Anliegen, nicht nur als Direktorin sondern auch als Mensch. Wobei die Gratwanderung zwischen persönlichem

Anliegen und dem Vertreten der Institution eine grenzwertige ist, wie sich später herausstellte. Während der DDR wurde das Gorki Theater nach dem Konzept des epischen Theaters von Bertolt Brecht geführt, der 1964 den Anspruch definierte: »(…) dass es nicht nur darauf ankommt, die Welt zu interpretieren, sondern sie zu verändern.« Brecht erhebt also nicht nur den Anspruch auf die Schauspieler*innen, ihre Rollen so zu verwirklichen
als wären ihre Charaktere real, sondern auch an das Publikum, das weg vom Konsum hin zur Aktion geführt werden soll. Diesem Gedankengut über den Berliner Mauerfall 1989 hinweg folgend und wir landen bei Christoph Schlingensief und der Wiedervereinigung. Bekannt wurde er durch seine provokativen Aktionen – theatralisch und symbolstark. Schlingensiefs gekonntes Spiel mit der Presse und seine politische Aktionskunst dienen nicht selten als Inspiration für das Zentrum für Politische Schönheit.
Nun, wie können wir Theater verstehen das sich außerhalb der gewohnten Regeln, Gebäude und Narrationen abspielt? Wer sind die
Darstellenden und wer das Publikum? Wann verschwimmen Spiel
und Realität und wo die Grenzen zwischen dem komfortablen Zuschauen
und dem Erkennen des eigenen Spiegelbildes?
Der Auftakt der Inszenierung, samt rotem Teppich und Polizeiaufgebot zwischen Gorki Theater und den gecharterten Reisebussen blieb dem Konzept des Theaters treu und umhüllte die Verabschiedung der Reisenden – oder Darstellenden? – in ein wohliges Gefühl der
Gemeinsamkeit.

Sobald die Kameras und der formelle Pomp vorbei waren, fing die Spekulation, die Frage um Akteur*innen und das Performative der Aktion an. Die Grenzen mit Komfort verschwammen allmählich und die Frage stellte sich: Sind wir das Experiment?
Eines der wichtigsten Instrumente des Theaters ist das Sichtbare, die Bühne und das Unmittelbare. Während wir uns also auf den Weg
quer durch Europa zur Außengrenze zwischen Bulgarien und der Türkei
machten, ist das Publikum abwesend und kann die Aktion nur aus der Distanz durch Zeitungsartikel und Reportagen mitverfolgen.
Die Aktion »Erster Europäischer Mauerfall« prangert die fatale und
immer noch aktuelle Flüchtlingspolitik der EU an. Doch weder die Außengrenze wurde erreicht noch waren jene Teil der Aktion deren
Geschichte als Skript diente – wie ein unsichtbares Symbol. Was sich jedoch zeigte, war ein Unbehagen des Privilegs, einer Bewegungsfreiheit
die lediglich durch ein Stück Papier geregelt wird und für so viel inner-europäisches Aufsehen sorgte.
Mirjana Mitrovićs Fotografien dienen auch sieben Jahre nach der Aktion als Zeitzeugen einer hochaktuellen und wichtigen Auseinander.














images courtesy Mirjana Mitrovic